Skip to main content

Urteilsanmerkung

BFH, Urteil v. 8.6.2021 – II R 2/19

Gesellschaftsvertragliche Fortsetzungsklausel: Erbschaftsteuerliche Behandlung von Anwachsung und (übersteigendem) Abfindungsanspruch

  1. Ist der Abfindungsanspruch, der aufgrund des Ausscheidens eines Gesellschafters aus einer GmbH & Co. KG bei dessen Tod gegen die Gesellschaft entsteht, höher als der Wert des auf den fortsetzenden Gesellschafter übergegangenen Anteils der GmbH & Co. KG, wird kein negativer Wert des Erwerbs als Schenkung auf den Todesfall bei dem fortsetzenden Gesellschafter berücksichtigt.
  2. Dies gilt auch für den Fall, dass der fortsetzende Gesellschafter zugleich Erbe des ausgeschiedenen Gesellschafters ist.

Sachverhalt

Der Kläger ist zusammen mit seinen drei Geschwistern zu je ¼ Miterbe nach seiner 2012 verstorbenen Mutter. Die Mutter war neben ihren vier Kindern Kommanditistin einer GmbH & Co. KG. Nach dem Gesellschaftsvertrag scheidet ein Gesellschafter bei seinem Tod aus der GmbH & Co. KG aus und die GmbH & Co. KG wird ohne diesen oder seine Erben fortgesetzt (Fortsetzungsklausel). Den Erben stand ein gesellschaftsvertraglicher Abfindungsanspruch zu.

Durch die Anwachsung waren die Geschwister nunmehr zu je ¼ an der GmbH & Co. KG beteiligt. Der vom zuständigen Finanzamt festgesetzte steuerliche Wert des Kommanditanteils der Mutter betrug insgesamt EUR 1,2 Mio., sodass TEUR 300 auf jeden Erben entfielen. Der Abfindungsanspruch je Erbe betrug TEUR 500. Das FA ging von einem erbschaftsteuerpflichtigen Erwerb i.H.v. 500 T€ (nur Abfindungsanspruch) aus, während der Kläger eine Reduzierung auf TEUR 300 (Abfindungsanspruch zzgl. anteiliger Kommanditanteil abzgl. Abfindungsverpflichtung) begehrte.

Entscheidung

Der BFH wies die Klage ab. Der Abfindungsanspruch und die Anwachsung seien erbschaftsteuerlich als getrennte Erwerbe zu bewerten und ein negativer Anwachsungserwerb nicht anzusetzen.

Der gesellschaftsvertragliche Abfindungsanspruch stellt einen erbschaftsteuerpflichtigen Erwerb von Todes wegen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 2 Nr. 4 ErbStG dar und ist als private Forderung mit dem Nennwert anzusetzen (§ 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 12 Abs. 1 BewG). Der Abfindungsanspruch gehört nicht zum Betriebsvermögen, sondern zum Privatvermögen der Erben, denn die Erben haben zu keiner Zeit im Wege der Erbfolge einen Anteil am Gesellschaftsvermögen der Personengesellschaft erhalten. Dies gilt auch, wenn die Erben zugleich die fortsetzenden Gesellschafter sind. Der Abfindungsanspruch gehört auch nicht automatisch zum (ertragsteuerlichen) Sonderbetriebsvermögen der GmbH & Co. KG, insbesondere dann nicht, wenn er nicht wirtschaftlich mit dem Gesellschaftsvermögen zusammenhängt, sondern wie zwischen Fremden üblich abgewickelt wird. So verhält es sich beim Abfindungsanspruch des weichenden Erben gegen die Gesellschaft, der dem Grunde und der Höhe nach nicht davon abhängt, ob der Erbe (zufällig) auch selbst Gesellschafter ist.

Die Anwachsung des Anteils des verstorbenen Gesellschafters erfolgt auf rein gesellschaftsrechtlicher Grundlage ungeachtet dessen, ob der Nachfolger Erbe ist oder nicht, und stellt einen der Schenkung auf den Todesfall gleichgestellten Erwerb dar, soweit der Wert, der sich für seinen Anteil zum Todeszeitpunkt nach § 12 ErbStG ergibt, Abfindungsansprüche Dritter übersteigt (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 ErbStG). Da der Wortlaut nicht von einer Differenz spricht, ist erbschaftsteuerlich mithin nur die objektive Bereicherung bzw. der positive Erwerb relevant. Ist der Abfindungsanspruch höher als der Wert des Anteilserwerbs, wird kein negativer Wert des Erwerbs (Anteilswert TEUR 300 abzgl. Abfindungsverpflichtung TEUR 500 = - TEUR 200) berücksichtigt, und zwar auch dann nicht, wenn die fortsetzenden Gesellschafter zugleich Erben des ausgeschiedenen Gesellschafters sind. Auch insoweit bestehe mangels einer Regelungslücke im Gesetz kein Anlass für eine erweiternde Auslegung (teleologische Extension).

Praxishinweis

Der Fall zeigt eindrücklich, dass steuerliche Aspekte bei der Gestaltung des Gesellschaftsvertrags bzw. bei der regelmäßigen Überprüfung auf Anpassungsbedarf nicht außer Betracht gelassen werden sollten. Jedenfalls in der vorliegenden Konstellation wäre die gesetzliche Regelung des § 177 HGB bzw. eine Nachfolgeklausel oder alternativ ein nach h.M. für den Todesfall zulässiger Abfindungsausschluss wohl (erbschaftsteuerlich) vorteilhafter gewesen. Sofern es sich nicht nur um eine vermögensverwaltende Personengesellschaft bzw. eine Personengesellschaft ohne erbschaftsteuerlich begünstigtes Vermögen handelt, gilt dies auch im Hinblick auf Anwendung der Begünstigungen nach §§ 13a, 13b ErbStG, die zwar auch beim Anwachsungserwerb anwendbar sind (R E 13b.1 Abs. 1 S. 4 Nr. 3 ErbStR und Beispiele in H E 3.4 Abs. 2 und H E 13b.1 ErbStH), deren Begünstigungs­potenzial dort aber nicht voll bzw. – wie im Besprechungsfall – gar nicht ausgeschöpft werden können. In anderen Konstellationen können wiederum außersteuerliche Gründe, bspw. bei personalistisch geprägten Gesellschaften die Verhinderung des Eintritts von Dritten in die Gesellschaft, gerade für eine Fortsetzungsklausel sprechen. Vgl. zu den verschiedenen gesellschaftsvertraglichen Nachfolgeregelungen Levedag/Obser, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 2, 5. Aufl. 2019, § 59, Rn. 86 ff.

Dr. Ralph Obser, LL.M. (London), Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Fachanwalt für Steuerrecht, Steuerberater, BIRKENMAIER & OBSER Rechtsanwälte, München