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Urteilsanmerkung

BFH, Urteil v. 26.10.2021 – IX R 13/20

Veräußerungsgewinnbesteuerung nach Zuzug des Anteilseigners ohne Step-up, wenn keine effektive Wegzugsbesteuerung im Herkunftsstaat

Der bis zum Zeitpunkt der Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG entstandene Vermögenszuwachs hat nicht i.S.v. § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG aufgrund gesetzlicher Bestimmungen des Wegzugsstaats im Wegzugsstaat einer der Steuer nach § 6 AStG vergleichbaren Steuer unterlegen, wenn dort keine Steuer festgesetzt worden ist.

Sachverhalt

Der Kläger lebte zunächst in den Niederlanden und gründete 1998 eine BV (Kapitalgesellschaft). 2006 zog er nach Deutschland. Nach Feststellung der niederländischen Steuerbehörden betrug der Wert der Beteiligung zu diesem Zeitpunkt ca. EUR 1,1 Mio., die niederländische Wegzugssteuer wurde aber (aufgrund eines Versäumnisses) zu keiner Zeit festgesetzt, erhoben oder gestundet. 2016 verkaufte er seine 100%-Beteiligung an der BV für ca. EUR 1,4 Mio. Der Kläger zog von dem Veräußerungserlös neben unstreitigen nachträglichen Anschaffungskosten i.H.v. ca. TEUR 100 auch den Wert der Beteiligung bei Zuzug nach Deutschland (EUR 1,1 Mio.) als Anschaffungskosten i.S.v. § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG ab, sodass nach seiner Ansicht der Veräußerungsgewinn ca. TEUR 200 betrug, der nach dem Teileinkünfteverfahren zu 60% der Besteuerung mit dem persönlichen Steuersatz unterlag. Demgegenüber versagten das Finanzamt und das Finanzgericht den Step-up im Rahmen des Zuzugs, d.h. den Ansatz der EUR 1,1 Mio. als Anschaffungskosten, und gingen von einem Veräußerungsgewinn von ca. EUR 1,3 Mio. aus.

Entscheidung

Der BFH ist dem Finanzamt und dem Finanzgericht im Ergebnis gefolgt. Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört nach § 17 Abs.  1 Satz 1 EStG auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an (in- oder ausländischen) Kapitalgesellschaften, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten 5 Jahre unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1% beteiligt war. Anteile an Kapitalgesellschaften sind nach § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG u.a. GmbH-Geschäftsanteile und „ähnliche Beteiligungen“. Zu letzteren zählen nach ständiger Rechtsprechung auch Anteile an einer niederländischen BV, die nach dem sog Typenvergleich mit einer deutschen GmbH vergleichbar ist.

Nach § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG kann der im Vergleich zu den ursprünglichen Anschaffungskosten höhere Wert der Anteile im Zeitpunkt des Zuzugs des Veräußerers nach Deutschland (Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht) angesetzt werden (Step-up), wenn der Veräußerer nachweist, dass der Vermögenszuwachs im Herkunftsstaat (Niederlande) einer der deutschen Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG) vergleichbaren Steuer „unterlegen“ hat. Die grundsätzliche Vergleichbarkeit der niederländischen mit der deutschen Wegzugssteuer hatte das Finanzgericht für den BFH bindend festgestellt. Der BFH führte aus, dass der Begriff einer Steuer „unterlegen“ nicht eindeutig sei, denn der Steuergesetzgeber verwende ihn teilweise i.S.v. „steuerbar“; wenn aber auf eine tatsächliche ausländische Besteuerung abgestellt werde, verwende er u.a. die Begriffe „festgesetzte“, „gezahlte“ oder „erhobene“ Steuer. Das Tatbestandsmerkmal werde im Rahmen der Rechtsfolge des § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG jedoch derart konkretisiert, dass zumindest ein Steuerbescheid des Wegzugsstaats mit Berechnung und Festsetzung der Steuer ergangen sein müsse. Daran fehle es im Streitfall, da weder Steuern berechnet noch festgestellt worden seien noch ein sog Aufschub- bzw. Konservierungsbescheid erlassen worden sei. Der BFH sieht dieses Auslegungsergebnis auch durch systematische und historische Erwägungen bestätigt und nicht im Widerspruch zum Doppelbesteuerungsabkommen. Nach Art. 13 Abs. 6 des Doppelbesteuerungsabkommens Deutschland-Niederlande (vgl. auch Art. 13 Abs. 6 deutsche DBA-Verhandlungsgrundlage) hat der Wegzugsstaat die Möglichkeit, den Wertzuwachs bis zum Wegzug zu besteuern, ist hierzu jedoch nicht verpflichtet. Nur im Fall der Besteuerung durch die Niederlande wäre Deutschland als Ansässigkeitsstaat daran gebunden und dürfte diesen Wertzuwachs – zur Vermeidung der Doppelbesteuerung – nicht erneut besteuern. Im Umkehrschluss darf Deutschland aber vollumfänglich besteuern, wenn – wie im Streitfall – in der Niederlande tatsächlich keine Schlussbesteuerung durchgeführt wurde.

Praxishinweis

Der Fall ist in Zeiten hoher globaler Mobilität von Unternehmern/Gesellschaftern von besonderer Relevanz. Jeder Gesellschafter mit einer Beteiligung von mindestens 1% an einer inländischen oder ausländischen Kapitalgesellschaft fällt mit Begründung eines Wohnsitzes in Deutschland in den Anwendungsbereich des § 17 EStG, sodass ein Veräußerungsgewinn der deutschen Besteuerung unterliegt. Verlässt der Gesellschafter vor einer Veräußerung Deutschland wieder, kommt ggf. die deutsche Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG) zur Anwendung. Ein Step-up kommt nur bei effektiver Wegzugsbesteuerung im Herkunftsstaat in Betracht, denn nach dem obiter dictum des BFH ist „auf die tatsächlich durchgeführte Schlussbesteuerung abzustellen“. In der Praxis ist trotz des vergleichbar hohen Steuerniveaus in Deutschland zu berücksichtigen, dass das Auslösen einer Wegzugsbesteuerung im Herkunftsstaat, soweit dies überhaupt beeinflussbar ist, auch unter Liquiditätsgesichtspunkten und vor dem Hintergrund möglicher Wertminderungen nach dem Zuzug abgewogen werden sollte.

Dr. Ralph Obser, LL.M. (London), Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Fachanwalt für Steuerrecht, Steuerberater, BIRKENMAIER & OBSER Rechtsanwälte, München